Hintergrund der "Stillen Feiertage"

Im krassen Gegensatz zum weltanschaulich neutralen Selbstverständnis des Staates stehen die Regelungen zu den sogenannten "Stillen Feiertagen" in Deutschland. Dazu zählen, je nach Bundesland, etwa Gründonnerstag, Karfreitag, Pfingstsonntag und Buß- und Bettag. An jenen Feiertagen werden christliche Anlässe und Gebräuche per Gesetz der gesamten Bevölkerung aufgezwungen in dem Sinne, dass öffentliche Veranstaltungen, die nicht dem "religiösen Charakter des Feiertags" entsprechen, verboten sind, sodass die beiden christlichen Kirchen an diesen Tagen faktisch ein Monopol auf Selbstdarstellung im öffentlichen Raum bekommen. Die konkreten Regelungen obliegen den Bundesländern, weshalb sie sich von der Nordsee bis zum Bayrischen Wald bzw. von der Eiffel bis zum Erzgebirge in Umfang und Durchsetzung unterscheiden.

Wenngleich es in manchen Bundesländern tageszeitliche Eingrenzungen gibt, ist allen "Stillen Feiertagen"  das Verbot von öffentlichen Konzert- und Tanzveranstaltungen gemein - freilich mit Ausnahme christlicher Feierlichkeiten. Kirchliche Passionsspiele, Prozessionen, Messen und Konzerte sind nicht nur gestattet, sondern erhalten an diesen Tagen quasi eine Monopolstellung für gesellschaftliche und kulturelle Anlässe.

Hingegen sind Demonstrationen sowie private und öffentliche Tanz- und Sportveranstaltungen an den "Stillen Feiertagen" zumeist verboten. Clubbetreiber, Restaurantbesitzer, Konzertveranstalter, Sportvereine - aber auch Privatpersonen werden an diesen Tagen also in ihren Freiheitsrechten massiv eingeschränkt.
So musste 2012 etwa ein internationales [Schachturnier] in Bayern auf Druck von katholischer und evangelischer Kirche eingedampft werden[1]. In Hessen wurden am Karfreitag 2012 [Tanzdemonstrationen] gegen das Tanzverbot untersagt[2]. In Bremen und Hamburg werden Kirmesveranstaltungen am Karfreitag unterbrochen[3], in Leipzig blieben an Karfreitag 2012 sogar die Messe-Türen zu - obwohl in Leipzig über 80% der Bevölkerung keiner Kirche angehören![4] In Essen wurde 2011 die Premiere der Oper „Madame Butterfly“ verschoben[5]; die Operette „Der Opernball“ wurde ganz abgesagt[6] - denn: "alle der Unterhaltung dienenden öffentlichen Veranstaltungen" sind nach dem Feiertagsgesetz von Nordrhein-Westfalen am Karfreitag verboten.

Die Regelungen zu "Stillen Feiertagen" schränken also nicht nur diverse persönliche Rechte (Art. 3, 4 und 8 GG) ein, sondern wirken bisweilen auch gegen die grundgesetzlich verbürgte Freiheit der Kunst (Art. 5 GG).

Die Nicht-Einhaltung dieser gesetzlichen Regelungen wird als Ordnungswidrigkeit gewertet und je nach Bundesland mit teils empfindlichen Geldstrafen geahndet. Begründet werden diese seltsam anmutenden Regelungen üblicherweise mit einer vermeintlich christlichen Deutungshoheit über den Charakter von Feiertagen, die zu stiller Einkehr, Andacht, Trauer oder Gebet zu nutzen seien. Jedoch verbinden mittlerweile weit über 40% der deutschen Bevölkerung mit diesen Feiertagen keine christliche Tradition mehr. Für viele Menschen haben religiöse Hintergründe und Gebräuche an diesen Tagen nie eine Rolle gespielt. Selbst unter den je knapp 30% aller Deutschen, die auf dem Papier der evangelischen oder katholischen Kirche angehören[7], findet sich nur mehr ein geringer Teil von aktiven KirchgängerInnen, welche die jeweiligen Feste auf christliche hergebrachte Art und Weise begehen.

In Bremen wurde mittlerweile auf diesen demografischen Wandel reagiert und die Regelung zum Tanzverbot gelockert. Auch in Bayern sind Schritte zu beobachten, die Tanzverbote zurückzufahren - allerdings nicht generell, sondern in Form winziger Zugeständnisse.

Dabei gehen viele Feiertage gar nicht auf ursprünglich christliche Anlässe zurück - etwa das Osterfest[8] .

Es ist daher leicht einzusehen, dass die besagten Regelungen zu "Stillen Feiertagen" den demografischen Realitäten in Deutschland nicht mehr entsprechen. In vielen Gegenden Ostdeutschlands machen Christen gerade einmal 30% der Bevölkerung aus, während die überwiegende Mehrheit konfessionsfrei ist[9]; in vielen Großstädten Deutschlands bekennt sich weniger als die Hälfte der Bürgerinnen und Bürger zu einer christlichen Glaubensrichtung; in Berlin und Hamburg etwa gibt es mittlerweile fast so viele Muslime wie Katholiken[10]. Auf politischer Ebene hingegen geben christliche Traditionslinien und Argumentationsweisen immer noch den Charakter u.a. gesetzlicher Feiertage vor.

Das entspricht weder dem Stand der wachsenden weltanschaulichen Pluralität in Deutschland, noch dem Verfassungsgrundsatz der weltanschaulichen Neutralität des Staates, welcher keine Religion über andere Konfessionen oder auch nicht-religiöse Lebensweisen zu erheben hat. Statt der weltanschaulichen Vielfalt in Deutschland mit Überfremdungsangst und Panik- Rhetorik über vermeintlichen (christlichen) Werteverlust der Gesellschaft zu begegnen, ist es nötig, sie als Realität ernst zu nehmen, mit ihr fair umzugehen und sie als Chance zu begreifen.

Daher: Ich lass Dich beten - lass Du mich tanzen! 

Siehe auch: