Weitere Gründe, warum ein Austritt aus unserer Sicht die richtige Entscheidung ist.
Sex/Familienplanung:
Sexualität ist insbesondere nach katholischem Verständnis Sünde (Quelle), sofern diese außerehelich vollzogen wird oder nicht der Fortpflanzung dient. Dass Sexualität auch eine wichtige soziale Funktion hat, wird dabei ausgeblendet, ebenso der Umstand, dass statistisch gesehen die meisten menschlichen Gesellschaften nicht monogam sind und biologisch überhaupt nichts für die christliche Vorstellung der heteronormativen, lebenslangen Ehe als dem einzig "natürlichen" Paarbindungsmodell des Menschen spricht (Quelle). So ergab z.B. eine Untersuchung der Eheform von 849 menschlichen Gesellschaften, dass davon 708 polygyn, 137 nominal monogam und 4 polyandrisch waren (Quelle).
Es erstaunt immer wieder, woher angesichts solcher Tatsachen kirchliche Vertreter Ihren Anspruch herleiten wollen, anderen Menschen vorzuschreiben, was diese in sexueller Hinsicht zu tun oder zu lassen hätten. Dabei lenken sie von den wirklich wichtigen Themen, mit denen sich unsere Gesellschaft dringend auseinandersetzen müsste, ab.
So sind z.B. die Beseitigung von extremer Armut, die Grundschulausbildung für alle Kinder, die Gewährleistung der Chancengleichheit von Frauen und Männern und die Senkung der Mütter- und Kindersterblichkeit einige der Millennium-Entwicklungsziele der Vereinten Nationen. Oftmals werden Entwicklungshilfeprojekte, insbesondere Projekte zur Sexualaufklärung und zum Gebrauch von Verhütungsmitteln jedoch durch die katholische Kirche blockiert. Da viele Gesundheitszentren vor Ort von kirchlichen Organisationen geführt werden, können diese die Ausgabe von Kondomen oder der Pille wirksam unterbinden. Die von Missionsschulen ausgebildeten MitarbeiterInnen wissen oftmals selbst nur wenig über Verhütungsmittel oder geben ihr Wissen bewusst nicht weiter. Angesichts eines solchen Verhaltens ist es kein Wunder, dass das Problem des rasanten Bevölkerungswachstums ungelöst ist und auch auf absehbare Zeit nicht zu lösen ist. Laut Bevölkerungsfonds wird sich die Bevölkerungszahl in Afrika bis 2050 verdoppeln, in manchen Ländern sogar verdreifachen. Mit der Zahl der Hungernden reduziert sich der verbliebene Lebensraum durch Abholzung der Wälder, Bodenerosion, Klimawandel und Wasserknappheit. Eine verantwortliche Ethik sieht unserer Auffassung nach anders aus...(Quelle)
Scheidung
Das Recht, sich von seinem Partner bzw. seiner Partnerin zu trennen, ist nach unserer Auffassung - ebenso wie das Recht der freien Partnerwahl - ein Menschenrecht, das sich unmittelbar aus der Würde und personalen Autonomie eines jeden Menschen ergibt. Wie sollte man denn von einem freien, selbstbestimmten Menschen sprechen, wenn dieser gezwungen ist, mit einem Menschen zusammenzuleben, von dem er/sie sich komplett auseinandergelebt hat bzw. mit welchem vielleicht sogar gravierende Konflikte bestehen? Tatsache ist, dass Menschen wie auch ihre Lebensumstände keine Konstanten sind, sondern sich ändern können. Eine Ethik, die Scheidung kategorisch ablehnt, obwohl diese je nach Situation durchaus die sinnvollste Lösung für alle Beteiligten einschließlich eventuell vorhandener Kinder darstellen kann, ist unverantwortlich. Die katholische Kirche und auch die evangelischen Kirchen lehnen Scheidung in unterschiedlichem Grade nach wie vor moralisch ab, auch wenn sie sie heutzutage glücklicherweise nicht mehr verbieten können. Der Grund dafür sind Textstellen eines tausende Jahre alten Buches wie etwa Matthäus 19,3–9. Man kann hier trefflich spekulieren, inwieweit Jesus liberaler war als die heutige Auffassung der Kirchen. Die Frage ist doch: Warum sollte für uns heute relevant sein, was ein Mensch vor 2000 Jahren empfohlen hat, der weder unsere heutige Gesellschaft noch die Vielfalt der Lebensentwürfe und Lebenssituationen von Frauen und Männern kannte? Zahlreiche konservative Politiker bzw. Wähler derselben lösen diese Frage ganz "galant": Man nimmt die Errungenschaften der Aufklärung, der sexuellen Befreiungsbewegung und der 68er privat gerne in Anspruch und lässt sich scheiden bzw. heiratet erneut, wenn das Zusammenleben nicht mehr klappt, denn es gibt ja immer gute, nachvollziehbare Gründe. Gleichzeitig hält man aber die Fahne der christlichen Werte hoch, die heutzutage nur deshalb unter Menschenrechtsgesichtspunkten halbwegs erträglich sind, weil niemand per Gesetz mehr dazu verpflichtet ist, sich daran zu halten.
Scheidung ist nichts moralisch Anrüchiges. Sie ist eine von vielen Lösungsmöglichkeiten von Problemen, die im menschlichen Zusammenleben nun einmal auftreten können. Organisationen, die diese Lösungsmöglichkeit pauschal verächtlich machen, ohne ihre Chancen zur Konfliktbeilegung zu sehen, können als moralische Ratgeber im 21. Jahrhundert wirklich nicht mehr ernst genommen werden.
Mitmenschlichkeit
Insbesondere in vielen Ländern Afrikas ist der Einfluss der Kirchen auf das gesellschaftliche Zusammenleben und die individuellen Freiheitsrechte noch erheblich dramatischer als dies hierzulande in einem weitgehend funktionierenden Rechtsstaat der Fall ist. Aber auch in Deutschland, wo die Menschen juristisch einigermaßen vor den penetrantesten Zugriffen der Kirchen auf deren Lebensentwürfe geschützt sind, zeigt sich doch in vielen Bereichen des Alltags, dass die vielbeschworene christliche Nächstenliebe Schall und Rauch ist, wenn es darum geht, anderen Menschen die christliche Vorstellung einer moralisch korrekten Lebensführung aufzudrücken.
Angestellte kirchlicher, insbesondere katholischer, Schulen, Kindergärten und Krankenhäuser können für Homosexualität, Kirchenaustritt und Wiederheirat nach Scheidung entlassen werden, obwohl diese Einrichtungen zu mehr als 90% von Steuergeldern und nicht von den Kirchen getragen werden (Quelle). Die persönliche Demütigung der durch eine solche Entlassung Betroffenen ist eigentlich schon Grund genug, einer Organisation den Rücken zu kehren, die aus solchen Gründen Entlassungen vornimmt (es geht hier nämlich nicht um Pfarrer, sondern um Reinigungskräfte, Pflegepersonal und Kindergärtnerinnen).
Aber auch unter finanziellen Gesichtspunkten stellt sich doch allmählich die Frage, wie lange wir es uns als Steuerzahler und Beitragszahler der Arbeitslosenversicherung eigentlich noch gefallen lassen sollen, dass Menschen, die jahrzehntelang gute Arbeit geleistet haben, wegen einer weltfremden Sexualethik ihren Job verlieren und Versicherungs- bzw. Sozialleistungen in Anspruch nehmen müssen?
Die folgenden Beispiele sprechen für sich. Die Stellen, die den Bewerbern verweigert bzw. von den Gefeuerten verloren wurden, wurden dabei jeweils zu einem Großteil vom Staat, und damit vom Steuerzahler finanziert. Also von einer Vielzahl von Menschen mit einer liberalen Einstellung zu Sexualität, Geschiedenen, Wiederverheirateten, Homosexuellen ...
Wer einen sozialen Arbeitgeber sucht, wird ihn nicht bei den Kirchen finden.
Homosexualität
Eine homosexuelle Beziehung verstößt aus katholischer Sicht gegen die "natürliche Sittenordnung" und ist auch aus evangelischer Sicht, die ihre Moral ja letztlich aus der gleichen Quelle, der Bibel, ableitet, mehr oder weniger problematisch und der heterosexuellen Ehe nicht gleichgestellt (Quelle).
Leider hat die "Natur" von diesem "natürlichen Sittengesetz" bisher noch nichts mitbekommen. Bisher wurde bei ca. 1500 Tierarten (Quelle) Homosexualität eindeutig nachgewiesen. All diese zumeist intelligenten, sozial lebenden Tierarten einschließlich der Mensch leben also munter fröhlich weiter in ihrer Sünde und "Unnatürlichkeit". Ein Blick in ein Buch über Evolutionstheorie würde die Kirche im Übrigen darüber aufklären, dass der evolutionäre Sinn von Sexualität (der nicht notwendigerweise an Fortpflanzung gekoppelt ist) in der Erhöhung der genetischen Vielfalt der Nachkommen besteht, nicht in der Fortpflanzung, denn diese geht sogar erheblich effizienter ohne Sex (Klonen, Parthenogenese). Ehrlicher wäre es, die Quellen für die eigene Homophobie - nämlich die Bibel - klarer zu benennen, statt im 21. Jahrhundert ein "natürliches Sittengesetz" vorzuschieben, das mit der Art, wie die Natur tatsächlich funktioniert, nicht das geringste zu tun hat.
Im Katechismus der Katholischen Kirche steht ganz klar: „Eine nicht geringe Anzahl von Männern und Frauen haben tiefsitzende homosexuelle Tendenzen. Diese Neigung, die objektiv ungeordnet ist, stellt für die meisten von ihnen eine Prüfung dar. Ihnen ist mit Achtung, Mitleid und Takt zu begegnen. Man hüte sich, sie in irgendeiner Weise ungerecht zurückzusetzen. [...] ...homosexuelle Handlungen (sind) in sich nicht in Ordnung". Sie verstoßen gegen das natürliche Gesetz, denn die Weitergabe des Lebens bleibt beim Geschlechtsakt ausgeschlossen. Sie entspringen nicht einer wahren affektiven und geschlechtlichen Ergänzungsbedürftigkeit. Sie sind in keinem Fall zu billigen.“ […] Homosexuelle Menschen sind zur Keuschheit gerufen. Durch die Tugenden der Selbstbeherrschung, […] können und sollen sie sich – […] der christlichen Vollkommenheit annähern“.
Also Mitleid mit den geprüften, ungeordneten Kranken. Hier werden den Betroffenen erst Schuldgefühle eingeredet, sie werden sozial stigmatisiert, um sich dann selbst als "Mitleidende" zu gerieren, deren "christlicher Vollkommenheit" sich die armen Sünder ja immerhin annähern können.
Mit der Verwahrung gegen „ungerechte Zurücksetzung“ hat sich die katholische Kirche keineswegs gegen Diskriminierung von Homosexuellen im heute allgemein verwendeten Wortsinn von "Diskriminierung" ausgesprochen, denn abgelehnt wird im Katechismus nur die „ungerechte“ Zurücksetzung. Was der Unterschied zwischen einer „gerechten“ und „ungerechten“ Zurücksetzung sein soll, wird im Katechismus nicht weiter erläutert.
In einem Schreiben der Kongregation für die Glaubenslehre der katholischen Kirche vom Juli 1992 an die US-amerikanischen Bischöfe wird der damalige Kardinal Ratzinger dagegen erheblich deutlicher. Darin wird die Auffassung vertreten, Homosexuelle seien ungeeignet, als Lehrer, Sportlehrer oder Soldaten zu arbeiten. Allerdings wird diese Diskriminierung nicht durch rationale Argumente begründet, sondern mit Hilfe einer billigen Analogie: Aufgrund ihres Verhaltens könne und solle man gegebenenfalls die Rechte Homosexueller einschränken, so wie man auch die Rechte von Menschen mit ansteckenden Geisteskrankheiten einschränken dürfe, um die Bevölkerung vor einer Ansteckung zu schützen.
Zwar wird in dem Schreiben physische Gewalt gegen Homosexuelle explizit verurteilt. Gleichzeitig werden aber kräftig Vorurteile geschürt, die in vielen Ländern gerade die Ursache für eben diese physische Gewalt darstellen. So findet sich in besagtem Schreiben – ohne irgendeine nachvollziehbare Begründung – auch der folgende Satz: “Even when the practice of homosexuality may seriously threaten the lives and well-being of a large number of people, its advocates remain undeterred and refuse to consider the magnitude of the risks involved". Aufgrund von Hetzreden wie dieser hier ist insbesondere in vielen afrikanischen Staaten, wo die Kirche großen Einfluss hat, wie z.B. in Uganda, eine offen homosexuelle Lebensweise reiner Selbstmord. Die Kirche verschlimmert die Situation für die Betroffenen noch. So ruft z.B. in Sambia die katholische Kirche zu einem Verzicht auf Entwicklungshilfe auf für den Fall, dass diese an die Bedingung geknüpft ist, gegen die derzeitige Diskriminierung Homosexueller etwas zu tun: «Hilfszahlungen sollten nicht an die Förderung von Unmoralität geknüpft werden» (Paul Samasumo, Sprecher der katholischen Bischofskonferenz von Sambia - Quelle 1, Quelle 2). Analoge Konflikte sind auch aus anderen afrikanischen Staaten bekannt (Malavi, Uganda1, Uganda2). Aber auch in Europa und Russland ist Einfluss der christlichen "Moral der Nächstenliebe" nicht zu übersehen.
Schwangerschaftsabbruch/Bioethik
Katholische Lehre bis 1869: Beseelung 40 Tage nach Befruchtung (Mann) bzw. 80 Tage nach Befruchtung (Frau). Nach 1869: Ab Befruchtung. Nach 2012???...
Es ist also noch gar nicht so lange her (1869), da begann nach Auffassung der katholischen Kirche der beseelte Zustand beim Mann 40 Tage, bei der Frau erst 80 Tage nach der Empfängnis (warum wohl?). Das einzige Problem, das die katholische Kirche damals schon hinsichtlich der Durchführung eines Schwangerschaftsabbruches vor dem 40. bzw. 80. Tag nach der Zeugung hatte, war der Umstand, dass der Sex, der zur Zeugung des Embryos geführt hatte, ja dann wohl offensichtlich nicht in Zeugungsabsicht erfolgt war. Um die Zygote bzw. den Embryo ging es also erst mal nicht, und um das Wohl der werdenden Eltern, die sich aus Sicht der Kirche durch den sexuellen Akt versündigt hatten, erst recht nicht. Nicht die tatsächlichen und aktuellen Probleme der Schwangeren, sondern theologische Überlegungen zur unbefleckten Empfängnis Marias führten schließlich zu der Überzeugung, dass Beseelung und Lebensschutz dann wohl doch schon unmittelbar nach der Zeugung erfolgen müssten (Quelle 1, Quelle 2, Quelle 3).
Weil eine ethische Position, die auf einer Herumdeuterei einer Mythologie von der unbefleckten Empfängnis gründet, heutzutage praktisch niemandem mehr ernsthaft zu vermitteln ist, wird auf Scheinargumente zurückgegriffen, wie etwa dem, dass zumindest die "Potentialität" menschlichen Lebens schon in der befruchteten Zygote vorläge. Dabei wird wohlweislich verdrängt, dass es lediglich eine Frage der Phantasie ist, ob man den künftigen individuellen Menschen potentiell in einer befruchteten Eizelle verkörpert sieht oder in einem konkreten Paar bestehend aus einer Samenzelle und einer Eizelle vor der Befruchtung. Denn auch jedes getrennte Paar von Samen- und Eizelle hat die Potenz zu menschlichem Leben, so wie jede Leberzelle und Hautschuppe, deren Kern man mittels der Klontechnologie in eine entkernte Eizelle verpflanzen würde. Jeder Aufruf eines Pfarrers, am Sonntag Morgen zur Kirche zu gehen anstatt Sex zu haben, vernichtet also ebenfalls "potentielle" Menschen. In genau derjenigen Kombination, in der ein Kind an einem bestimmten Sonntag Morgen gezeugt worden wäre, werden die Erbanlagen mit hoher Wahrscheinlichkeit nie wieder in der Zukunft miteinander kombiniert werden, folglich werden dadurch konkrete, individuelle Menschen an ihrer - potentiell möglichen - Entwicklung zum Menschen gehindert.
Vielleicht wäre es vernünftiger, sich einmal grundsätzlich zu fragen, warum wir menschliche (und andere) Lebewesen für schützenswert halten. Liegt es nicht eher daran, dass es sich dabei um schmerzempfindliche und zur Freude fähige Wesen handelt, die man vor Schmerz und Schaden bewahren will? Diese Seite ist nicht dazu konzipiert, abschließende Antworten auf komplexe Fragen der Bioethik zu liefern. Über eines sind wir uns aber sicher: wenn eine ethische Position mit der befleckten oder unbefleckten Empfängnis Marias begründet wird und nicht mit den konkreten Lebensbedürfnissen der Menschen, und wenn so offensichtlich unausgereifte Argumente wie das Potentialitätsargument angeführt werden, dann kann man sich die Antworten auf Fragen zu Schwangerschaftsabbruch, künstlicher Befruchtung und der Forschung an Embryonen ebensogut erwürfeln.
Fazit
Durch das Publikwerden zahlreicher Mißbrauchsfälle im Jahre 2011 wurde die Glaubwürdigkeit der katholischen Kirche erheblich erschüttert. So sehr wir den Opfern der tätlichen Übergriffe eine moralische und finanzielle Genugtuung für das erfahrene Unrecht wünschen: Dabei darf die Aufarbeitung des Wirkens der Kirchen in unserer Gesellschaft nicht stehen bleiben. Dieser Skandal ist nur die Spitze des Eisbergs, wenn man nicht nur die physischen Opfer vieler kirchlicher Vertreter, sondern auch die psychischen Opfer der christlichen "Moral"lehre an sich berücksichtigt. Es ist an der Zeit, die gesellschaftlichen Kollateralschäden der christlichen Heilslehre endlich zur Kenntnis zu nehmen und das Problem beim Namen zu nennen: Es waren nicht nur fehlgeleitete Vertreter einer an sich guten Religionsgemeinschaft, die sich an der Menschheit verschuldigt haben, sondern es ist eine dogmatische, reaktionäre und sexualfeindliche Ideologie, die bis in die jüngste Geschichte und teils bis heute uneheliche Kinder, alleinerziehende Mütter ohne "vorzeigbaren Vater", Homosexuelle, Geschiedene und Wiederverheiratete gesellschaftlich stigmatisiert und diese dadurch in vielen Fällen um ihre beruflichen und sozialen Perspektiven gebracht hat.
Man möge sich nur im eigenen Verwandten- und Bekanntenkreis der Eltern- und Großelterngeneration umhören: Wer kennt nicht die Situation vieler Mädchen in den 50er bis 60er Jahren, die schwanger wurden, bevor sie irgendjemand über den biologischen Hintergrund von Schwangerschaft und Sexualität aufgeklärt hatte. In der damals noch sehr christlich geprägten Gesellschaft waren ein offenes Gespräch über Sexualität und ein vernünftiger Sexualkundeunterricht etwas Verwerfliches, und ohne die sexuelle Revolution der 60er Jahre hätten wir wohl heute noch solche Zustände. Die betroffenen Mädchen mussten oftmals die Schule verlassen und wurden sozial ausgegrenzt. Bis heute werden Bedienstete von Sozialeinrichtungen in katholischer Trägerschaft auch nach Jahrzehnten eines guten Arbeitsverhältnisses entlassen, weil sie z.B. nach einer Scheidung neu geheiratet haben, weil sie lesbisch sind etc. Über 140.000 Homosexuelle wurden insgesamt wegen verschiedenen Fassungen des §175 StGB verurteilt, der ja ein in Gesetzestext gegossener Ausdruck der christlichen Sexual"moral" war. Eine unermessliche Verschwendung von Lebenszeit und Chancen, die durch den Umstand hervorgerufen wurde, dass Homosexuelle ihre Partner verstecken und Alibi-Partnerinnen bzw. Partner nehmen mussten, wodurch sich das ganze Unglück noch weiter potenzierte. Alan Turing, der durch seine mathematische Brillanz maßgeblich dazu beigetragen hatte, dass die Alliierten den Code der deutschen Funksprüche entschlüsseln und Nazideutschland besiegen konnten, ist ein prominentes Beispiel der vielen Opfer christlicher Sexual"moral". Haben die heutigen Vertreter einer christlichen Sexualmoral die Unmoralität und Unbegründetheit ihrer Lehren heute etwa eingesehen und haben sie sich für die menschlichen und gesellschaftlichen Schäden entschuldigt, die durch die Verbreitung der christlichen Sexualmoral verursacht wurden? Nein. Stattdessen rufen christliche "Würdenträger" in afrikanischen Ländern dazu auf, eher auf Entwicklungshilfe zu verzichten, als Homosexuellen auch nur minimale Schutzrechte zuzuerkennen, und bürden diesen Ländern dadurch all die Probleme auf, die wir in Deutschland seit den 68ern halbwegs überwunden haben.
Es ist nicht genug, nur die persönlichen Verfehlungen kirchlicher Vertreter anzuprangern, die sich - selbst Opfer dieser zutiefst sexualfeindlichen Ideologie - körperlich an Schutzbefohlenen vergangen haben. Es ist an der Zeit, auch all die nicht körperlich betroffenen Opfer dieser Ideologie zur Kenntnis zu nehmen, denen wesentliche Lebenschancen völlig unnötigerweise verbaut wurden. Und es ist an der Zeit, das Hauptproblem der Kirchen beim Namen zu nennen: Die christliche Sexualmoral und der krampfhafte Versuch, aus einem tausende Jahre alten, inhumanen und inkonsistenten Buch Regeln für das Zusammenleben im 21. Jahrhundert abzuleiten. Das ist angesichts der tatsächlichen Komplexität der Welt unverantwortlich und kann nicht funktionieren.
Es ist höchste Zeit, sich einer humanistischen Ethik zuzuwenden, die auf pragmatische, offene und rationale Weise nach Regeln für ein friedliches und freiheitliches Zusammenleben sucht.